Aus dem Pfadfinder-Brief Nr. 08 vom 11. April 2021, von Daniel Haase
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
vor zwei Monaten interviewte mich Mark Dittli, der Chefredaktor des in Kooperation mit der Neuen Zürcher Zeitung entstandenen Finanzmediums „themarket.ch“ (Mitschnitt hier). Gleich in den ersten Minuten wies Dittli darauf hin, dass es angesichts der seit dem Corona-Crash wieder stark gestiegenen Kurse zunehmend weniger „günstig bewertete Aktien“ gäbe. Diese Sichtweise ist weit verbreitet und stellt insbesondere für einige neue Anleger am Aktienmarkt eine psychologisch hohe Hürde dar. Ich spreche von jenen Investoren, welche in normalen Zeiten keine Aktien kaufen würden, weil sie die Kursschwankungen am Aktienmarkt und vor allem die Unsicherheit in Bezug auf den zukünftigen Wert ihrer Investments nur schwer ertragen können. Diese Anleger waren in der Vergangenheit hauptsächlich in leicht kalkulierbaren, festverzinslichen Wertpapieren engagiert. Doch sie erkennen zunehmend, dass Anleihen in Null- und Negativzinszeiten zu einer sukzessiven Vernichtung ihres Vermögens führen. Sie erkennen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen stetig schrumpfende Zinskupons am Rentenmarkt durch ansehnliche Kursgewinne kompensiert wurden und dass sie nun tatsächlich handeln müssen. Diese Anleger kaufen Aktien keineswegs aus eigener Überzeugung sondern aus der puren Not heraus und eher wider Willen. Für sie ist die Annahme, dass Aktien teuer seien, ein psychologisch durchaus willkommener Anlass, mit der Umsetzung der als notwendig erkannten Aktienkäufe abzuwarten. Doch in einem Bullenmarkt zahlt man fürs Warten üblicherweise einen erheblichen Preis in Form entgangener Kursgewinne. Obendrein verdient die Annahme, Aktien seien teuer, eine nähere Betrachtung. Wer nur auf den S&P 500 oder den MSCI World schaut, übersieht, dass die Wertentwicklung dieser Indizes von den Aktien großer USTechnologiekonzerne massiv nach oben gezogen wurde. Viele andere Aktienindizes auf dieser Welt liefern hingegen seit 14 (Hongkong), 21 (DJ STOXX Europe 600 oder DJ STOXX Global 1800 ex Americas, s. Abb. 1a) oder sogar 28 Jahren (China, Japan, s. Abb. 1b) im Grunde nur Volatilität ohne nennenswerte Kursgewinne.
Ein Blick auf den Kurs-DAX in Abb. 2 zeigt, was ich meine:
Der Kurs-DAX erreichte im Frühjahr 2000 bei 6.266 Punkten sein Hoch. 21 Jahre später notiert er gerade einmal 5% höher. Doch es kommt noch besser: Ein heutiger Euro verfügt verglichen mit jenem aus dem Jahr 2000 selbst laut offizieller Inflationsstatistik nur noch über eine Kaufkraft von knapp 75 Cent. Leute mit Bezug zum „wirklichen Leben“, die beispielsweise Strom verbrauchen, Obst und Gemüse kaufen, Diesel tanken oder gar heutige Grundstückspreise in deutschen Großstädten mit jenen von vor 21 Jahren vergleichen, könnten auf den Gedanken verfallen, dass die offizielle Inflation und die tatsächliche Geldentwertung zwei doch sehr unterschiedliche Dinge sein könnten.
Doch zurück zum deutschen Aktienmarkt: Zur Jahrtausendwende warfen DAX-Aktien gut 2% weniger Rendite ab als 10jährige Bundesanleihen (Gewinnrendite 2,9% bzw. KGV 34 vs. 5,2% Anleiherendite). Bezogen auf die diesjährigen Unternehmensgewinne rentiert der DAX gut 6% über (!) Bundesanleihen (Gewinnrendite 6% bzw. KGV 17 vs. -0,3% Anleiherendite). Wer lieber nur auf die Dividenden schaut, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Im Jahr 2000 lag die Dividendenrendite mit 1,7% gut dreieinhalb Punkte unter, heute liegt sie mit 2,6% etwa drei Punkte über (!) der Rendite 10jähriger Staatsanleihen. Der deutsche Aktienmarkt ist aus dieser Perspektive keineswegs teuer. Derartige, relative fundamentale Vergleiche mit ähnlichem Ergebnis können für viele weitere Aktienmärkte weltweit angestellt werden.
Außerhalb Amerikas treten etliche Indizes seit vielen Jahren auf der Stelle und zeigen erst seit etwa drei Monaten den Willen, nach oben auszubrechen. Unsere mittelfristigen Trendstrukturdaten offenbaren, dass der laufende Bullenmarkt überaus kraftvoll ist. Die aktuelle Lage ist von den Signalen am ehesten mit jener im Spätsommer 2009 und im Januar 2013 vergleichbar. Damals erholten sich die Märkte aus der Finanzkrise bzw. von den 2011/12er-Turbulenzen. Bis sich unsere sehr starken Signale im jeweiligen Folgejahr wieder abschwächten, erzielten die Aktien weltweit nochmals Gewinne von 18% (2009/10) bzw. 26% (2013/14). Zwei Beispiele sind keine statistisch gesicherte Basis, doch sie zeigen, dass für das Warten auf eine Korrektur in starken Bullenmärkten ein durchaus hoher Preis fällig werden könnte.
Herzliche Grüße
Ihr Daniel Haase
PS: Der nächste Pfadfinder-Brief ist für Samstag, den 01. Mai 2021, geplant.